Jukola 2018 – Highlights inmitten von Depressionen

 

Der grosse Bericht von Tinu Egger!

Fotoalbum von der Jukola

Die OLV Hindelbank an der Venla- und Jukola-Staffel in Finnland

 

Die Losung „Mittwoch 10:55“ hat in den vergangenen Jahren eine gewisse Magie entwickelt für einige Hindelbanker OL-Läufer und Zugewandte: Es ist dies die Abflugzeit „unseres“ Finnair-Flugs ab Zürich Flughafen nach Helsinki Vantaa. Neben zwei der vier Frauen des Venla-Erstlingsteams fanden sich dieses Jahr am 13. Juni acht Jukola-Reisende am Flughafen Zürich ein: Im Herbst war aufgrund von Erfahrungen der Vorjahre entschieden worden, dass wir die Planung erstmals mit einem Ersatzmann machen würden. Theo Bucher war bereit, sich der Expedition unter diesen Voraussetzungen als „achtes Rad am Wagen“ anzuschliessen. Nachdem zwei Teammitglieder im Vorfeld noch mit Sportarztbesuchen und MRIs um den grösseren Schaden am Fuss gewetteifert hatten, war dieser bei beiden nicht so gravierend, als dass Theo auf einen Startplatz hätte nachrücken können.

Den über fünfzig OL-Läufern, die diesen Flug gebucht hatten, bot die Flughafenverwaltung von Helsinki ab dem Gate eine erste Routenwahlaufgabe. Jedenfalls wunderten sich Theo, Peter und Tinu über den langen Weg zur Gepäckrückgabe und fanden sich unverhofft jenseits des Exits wieder – no entry zum Gepäck. Die nette Dame vom Flughafenpersonal, die über einen Sonderzugang zum Gepäck zurückhalf, beruhigte dann mit einem „This happens all the time“ – jedenfalls wurde rasch klar, dass auch die ganze norska-Delegation sich für dies Route entschieden hatte…

Während die Venla-Frauen raschmöglichst See und Sauna zustrebten, liessen sich die Männer auf dem Weg zur Unterkunft in Heinola ein erstes Training auf der Karte Kukonkoivu nicht nehmen. Für die Hälfte der Crew schien die Anreise zum Ausgangspunkt des Trainings komplexer als die Navigation im Gelände, was zumindest für die Jukola nur Gutes verhiess.

Die Villa Hulda erwies sich rasch als die beste Unterkunft, die wir bislang an einer Jukola hatten, und Vermieterin Elina Hynninen empfing uns herzlich und unkompliziert. Trotz straffem Dusch- und Einlogierprogramm sahen wir uns wieder mit dem Problem konfrontiert, dass es in der finnischen Pampa nach 20 Uhr abends kaum mehr Möglichkeiten zum Essen gibt. Dieses Mal hatten wir es dem Charme unserer Venla-Frauen Ursula Odermatt und Francine Schlatter zu verdanken, dass wir nicht in der nächsten Autobahnraststätte essen gehen mussten: Sie brachten den Koch vom Ranta Casino dazu, sein Restaurant länger offen zu halten.

Das Negativ-Gelände mit einer komplexen Landschaft von Senken war lange im Voraus als Besonderheit und Herausforderung der diesjährigen Jukola angekündigt worden (unsere beiden Geographen im Team sind uns die Erklärung, wie so etwas im kristallinen Gestein auf der finnischen Seenplatte entstehen kann, bislang noch schuldig geblieben). Das Studium der Trainingskarten hatte uns bereits ordentlich Respekt abgenötigt; bei einigen Posten wusste keiner so recht, wie man diese überhaupt sicher anlaufen könnte. Am Donnerstag ging es auf den Karten Rajajärven Suppa und Rahametsä nun also rein in die depressions, und es wurde rasch klar, dass es nicht bei den Depressionen im Gelände bleiben würde: Einer konnte schon den Startpunkt nicht identifizieren und tummelte sich eine Weile im Sperrgebiet, Röifu Flückiger holte sich im kupierten und teilweise steinigen Gelände schon beim ersten Posten eine Wadenmuskelzerrung und die meisten hatten eine Heidenmühe mit Karte und Gelände. So war Tinu dermassen herumgeirrt, dass er das Läufli, das mit 7km eine keski matka war, nach der Hälfte abbrechen musste, um nach den vereinbarten anderthalb Stunden zurück zu sein. Ernste Gesichter, ratlose Blicke und hängende Köpfe der bereits versammelten Kollegen empfingen ihn, und das Gelände hatte keiner schön gefunden. Auch kein Trost war da die Feststellung, dass die Strategie mit dem Ersatzläufer richtig gewesen war: Röifus Hinken machte rasch klar, dass Theo nun für die Jukola zum Einsatz kommen würde.

Stefu gab sich am Abend jede erdenkliche Mühe, als grillimestari Leckereien auf den Tisch zu zaubern, die uns wieder etwas aus den depressions herausholen würden. Mit ein paar Karhu, Karjala und Lapin Kulta zu den Grilladen wandelte sich die Stimmung zumindest etwas Richtung Galgenhumor. Die Teamsitzung zur neuen Streckenzuteilung nach Rolfs Ausfall wurde dann aber doch ungewohnt kompliziert: Plötzlich tauchten Trainingsmängel, verborgene Verletzungen, fehlende Nacht-OL-Erfahrung, unsichere Nachtlampen und andere Bedenken auf, und sogar Fritz, unser traditioneller anchorman auf der langen Nachtstrecke, monierte, dass er eigentlich auch gerne mal eine der Bubi-Strecken 4 oder 5 laufen möchte… Tja, wir konnten uns bis auf einen letzten aufgeschobenen Detailentscheid am Folgetag doch noch einigen und uns somit an die mentale Vorbereitung machen.

Dazu gehörte, dem weisen Rat von Fritz folgend, auch der Entscheid, am Freitag nicht nochmals ein Training im „deprimierten Gelände“ zu machen: Stattdessen verlustierten wir uns auf der Karte Tiirismaa mit Steinen und Hügeln und konnten in dem schönen Wald unser Selbstvertrauen doch wieder etwas aufrichten. Beim traditionellen ersten Abstecher aufs Wettkampfgelände vom Freitagnachmittag konnten wir uns mit Sime und Mätthu austauschen. Auch bei ihnen merkte man den Respekt vor dem Gelände, und aufgrund von Nachrichten von Jonas, der überrascht war vom Schwierigkeitsgrad, und Daniel Hubmann, der ein Bild mit der Legende „preparing for a demanding Jukola“ postete, wussten wir uns zumindest in guter Gesellschaft. Wir versuchten uns jedenfalls knallhart auf die „Strategie“ von Theo einzuschiessen: „Einfach keine Fehler machen!“ – Wie das zu bewerkstelligen war, erhellte sich allerdings nicht nur Alex, sondern uns allen nicht ganz…

Am Samstagmorgen räumten wir die schöne Villa Hulda und dislozierten ins traditionelle Militärzelt auf dem Jukola-Gelände. Die Anreise wurde sehr vereinfacht durch VIP-Schilder, die uns unser vormaliger Teamkollege und IOF-Crack Libi wegen Nichtgebrauchs weitergegeben hatte. Auf dem Jukola-Gelände wähnte man sich aufgrund von Trockenheit und Hitze fast schon tief im Süden, und es wurde rasch klar, dass der Staub auf dem Militärübungsgelände Hälvälä ein steter Begleiter sein würde. Eine Windhose, die übers Gelände zog, wirbelte nicht nur gut sichtbar Staub schlauchartig in die Höhe, sondern kurz vor der Übergabe von Strecke 1 auf Strecke 2 der Venla-Staffel auch einen Teil der Karten; die Windhose hob sie weit über die Tannenwipfel und verteilte sie in weitem Umkreis… Das haben die Veranstalter bestimmt nicht vorhergesehen! – aber immerhin für unvorhergesehene Fälle Reservekarten bereitgehalten…

Die Frauen machten ihre Sache bei der Venla mit Schlussrang 495 sehr gut, brachten uns in Zugzwang, konnten aufgrund der Rückmeldungen aber auch einen Teil der Befürchtungen zerstreuen oder mindestens etwas abschwächen. Mit Ausruhen im Zelt und drum herum, Zerstreuung beim Shopping im Suunnistajan Kauppa und anderen Verkaufszelten sowie individueller Vorbereitung ging die Zeit bis zur Stunde der Wahrheit bei Sonnenuntergang um 23:00 rasch vorbei.

Auf den Startschuss aus der Bordkanone eines Schützenpanzers hin machte sich Ueli nicht aus dem Staub aber auf in den Staub des Massenstarts. Für die Läufer der ersten Strecken ergaben sich im Schein der Stirnlampen wegen den Staubwolken fast mystische Szenen, wie Fritz berichtete. Ueli lieferte auf der ersten Strecke (unseren Erwartungen entsprechend) ein Top-Resultat ab und schaffte ein gewisses Polster für unsere Zielsetzungen und unseren orientierenden Zeitplan. Auch Alex schlug sich ausgezeichnet und kam mit einem Gesicht wie ein Mineur oder Kaminfeger aus dem Wald zurück. Leider fehlte es dem gerade erst aus dem Schlafsack gekrochenen Tinu etwas an Aufmerksamkeit und Musse, um diese gfürchige Erscheinung fotografisch festzuhalten – es war nämlich damit zu rechnen, dass wir nach dem Einsatz von Fritz dem Zeitplan um mehr als eine halbe Stunde voraus sein würden. In der schönen frühmorgendlichen Stimmung und beim Warten auf den dann doch nicht so rasch eintreffenden Fritz geriet die Nervosität plötzlich in den Hintergrund, und es dominierte überraschend die Vorfreude auf den Lauf in forderndem Gelände.

Im Schnitt blieben wir dank grösstenteils kontrollierten Läufen recht gut im Zeitplan – auch Tinu und Peter auf den Bubi-Strecken… Stefu, der in den Rochaden anstelle einer Bubi-Strecke die längere 6. Strecke gefasst hatte, kam mit mittakaava und käyräväli der suunnistuskartta Hälvälä seinen Aussagen zufolge viel besser zurecht als mit diesen finnischen Wortmonstern und spielte seine läuferischen Fähigkeiten voll aus. So lief er auf dem für unsere Erwartungen ausgezeichneten 661. Rang ein. Inzwischen war Theophil, der sich in die Bresche geworfen und die für einen unserer toughen Youngsters Ueli und Röifu vorgesehene Schlussstrecke übernommen hatte, bereits im Massenstart der 7. Strecke abgerauscht. Auf der mit 20 Leistungskilometern garnierten Schlusstrecke verlor er zwar trotz geschickter Nutzung der südwestfinnischen Tramlinien noch 33 Ränge, was aber angesichts der beeindruckenden Streckendaten und Konkurrenz als hervorragende Leistung zu werten ist. Und es war kaum zu glauben, mit welcher Lockerheit Theo anschliessend noch Auslaufen gegangen ist!

Mit Duschen in der (warmen!) Freiluftdusche, Verpflegung, Dösen, Sälbelen und Stretchen genossen wir noch eine Weile die mit Peters Worten „Woodstock-artige“ Atmosphäre des Jukola-Lagers, bevor es bald schon auf die Heimreise ins Leben B ging… – müde, aber um eine wunderbare Jukola-Erahrung reicher. Keiner, der nicht schwärmen würde von diesem hochspannenden und schönen Gelände, das in bester Qualität kartiert und daher auch überraschend gut zu meistern war. Und einmal mehr haben wir unsere sisu bewiesen (Übersetzung bei Bedarf beim Autor erhältlich).

Ersten leisen Äusserungen zufolge könnte es nächstes Jahr in Kangasala eine Fortsetzung geben. Und für die Austragung 2020 in Rovaniemi war schon von einem Charterflug für OL-Läufer die Rede…

12_Fototermin 2_Es geht bald los

Bericht und Fotos: Martin Egger